Vortrag Montag, 18.07.2022 um 19.30 Uhr im Festsaal der Rudolf-Steiner-Schule-Ismaning
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer
Goethes Faust - menschliche Tragödie und göttliche Komödie
Tragödie" hat Goethe sein Lebenswerk Faust genannt, und eine solche ist das gewaltige Werk durchaus, wenn man an all die tragischen Schicksale denkt, die es durchziehen und deren erschütterndstes das Lebensende Gretchens ist. Doch die Titel- und Hauptfigur Faust ist im Grund keine tragische Figur, kann sich immer - in beiden Teilen der dramatischen Dichtung - im entscheidenden Augenblick einem als tragisch zu bezeichnenden Verhängnis entziehen. Über der ganzen Dichtung waltet - vom "Prolog im Himmel" bis zur abschließenden "Bergschluchten"-Szene - eine göttliche Regie und Vorsehung, die das Geschehen letztenendes zum Guten, zum Heil lenkt. Faust wird so zu einer Divina Commedia. Doch auch auf der rein irdischen Ebene durchziehen das Werk zahllose komische Elemente, ja regelrechte Komödienszenen. Faust ist dergestalt eine gewaltige Synthese von Tragödie und Komödie, ja er transzendiert diesen Gattungsgegensatz auf einen metaphysischen Horizont hin, vor dem er sich in ein Erlösungsmysterium mit einem göttlichen Happy ending auflöst.
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer war 1982-1988 Professor für Theaterwissenschaft an der Universität München, 1988-2006 Ordinarius für Neuere deutsche Literatur und Theaterwissenschaft an der Universität Heidelberg, seit 2007 ist er Honorarprofessor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Graz und hält im Rahmen einer Stiftungsdozentur für Kulturtheorie (Manfred-Lautenschläger-Stiftung) weiter Vorlesungen an der Universität Heidelberg. Von 2004 bis 2013 war er Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und Stiftungsratsvorsitzender der Ernst von Siemens-Musikstiftung. 2000 erhielt er den Bayerischen Literaturpreis (Karl Vossler-Preis). Im Oktober 2005 wurde ihm von der Universität Montpellier III (Paul Valéry) der Ehrendoktor verliehen. 2009 erhielt er die Bayerische Verfassungsmedaille, 2017 die Goldene Medaille der Goethe-Gesellschaft Weimar und den Bayerischen Verdienstorden. Er war und ist Gastprofessor an Universitäten in Frankreich (Montpellier), Österreich (Graz) und besonders in den USA. Sein hauptsächliches Arbeitsfeld ist die deutsche Literatur vom 18. bis 20. Jahrhundert und das Musiktheater, mit dem Schwerpunkt auf Goethe, Schiller, Mozart, Richard Wagner und Thomas Mann. Jüngste Buchveröffentlichungen: Goethe. Der Zeitbürger (1999), Richard Wagner. Ahasvers Wandlungen (2002, amerikanische Ausgabe: Drama and the World of Richard Wagner, 2003), Macht und Melancholie. Schillers Wallenstein (überarbeitete Neuauflage, mit Geleitwort von Raymond Klibansky, 2003), Mozart oder die Entdeckung der Liebe (2005), Nietzsche – Cosima - Wagner. Porträt einer Freundschaft (2008, Neuauflage 2017), Das Theater Richard Wagners (Neuauflage 2013) und Richard Wagner – Werk, Leben, Zeit (2013; chinesische Übersetzung 2017)). Seine jüngsten Publikationen sind sein Lebenswerk: Was ist deutsch? Die Suche einer Nation nach sich selbst (2017) und die kommentierte Ausgabe der Josephsromane von Thomas Mann in vier Bänden (2018; zusammen mit Jan Assmann und Stephan Stachorski). Gegenwärtig arbeitet er an einer Gesamtdarstellung Thomas Manns, die unter dem Titel Thomas Mann – Werk und Zeit 2022 erscheinen wird.
Vortrag Dienstag, 19.07.2022 um 16.30 Uhr im Festsaal der Rudolf-Steiner-Schule-Ismaning
Dr. Klaus Weißinger
Ich und Welt im "Faust" - was für ein Drama!
Schon zu Beginn des Dramas in der Szene „Prolog im Himmel“ wird das Spannungsverhältnis zwischen Welt und Ich ersichtlich. Die himmlischen Heerscharen, also der ganze Kosmos, sind anwesend und es geht vornehmlich um ein einzelnes Ich, um Faust.
Wie kommt dieses Ich mit sich und mit dieser großen Welt im Drama zurecht? Und wie kommt unsere Welt eigentlich mit diesem Faust-Ich zurecht? Was hat dies mit unserem eigenen Ich und mit der heutigen Welt zu tun?
Alles sehr dramatisch ...
Dr. Weißinger: Studium der Germanistik und Geographie für das Lehramt an Gymnasien (1. und 2. Staatsexamen) in Heidelberg. Von 1993 bis 1995 Oberstufenlehrer an der Waldorfschule Heilbronn, danach an der Waldorfschule Ismaning bei München. Seit 2004 Mitglied der Lehrplangruppe Geographie, seit 2007 Leitung der Geographie-Fachtagung des Bundes der Freien Waldorfschulen. 2015 Promotion in Germanistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg bei Prof. Borchmeyer über „Besitz und Genuss in Goethes Faust“. Seit 2016 Dozent am Lehrerseminar Kassel für Waldorfpädagogik, seit 2019 am Südbayerischen Seminar für Waldorfpädagogik und Erwachsenenbildung. Initiator des Schülerprojekts „Faust-Festival Ismaning“, Mitinitiator des Schülerprojekts „Wirtschaft anders denken“, Konzeption des Wirtschaftsspiels „Wad-Spiel“ und Gründungsvorstand des Vereins „Waldorfprojekte e. V.“, der für die genannten Initiativen verantwortlich zeichnet. Publikationen zu Goethes „Faust“ (v.a. "Goethes Faust: Ökonom - Landesplaner - Unternehmer") und zur Geographiedidaktik (Thema: Globalisierung).